Etwa 30 bis 40 % der Frauen und ca. 20 % der Männer haben eine vergrößerte Schilddrüse. Jede dritte bis vierte Frau und etwa jeder sechste Mann weisen zudem mindestens einen Schilddrüsenknoten auf. Schilddrüsenoperationen stehen heute an vierter Stelle der Operationsstatistik: 100.000 Schilddrüsenoperationen pro Jahr. Ein Großteil von ihnen wäre durch vorbeugende Maßnahmen vermeidbar - durch eine nebenwirkungsfreie, ausreichende Jodversorgung.
Die letzte Eiszeit ist dafür verantwortlich. Das entstehende Schmelzwasser spülte das Jod aus den Böden in die Flüsse und über diese ins Meer. Dort findet sich das Jod in großen Mengen, z. B. in Seefisch, Meeresfrüchten und Algen.
Die maximale Größe des Schilddrüsenvolumens liegt bei einer Frau bei 18 ml, bei einem Mann bei 25 ml. Diese Grenzen werden auch im Norden, selbst in Küstennähe, oft überschritten.
Derzeit bestehen keine nennenswerten Unterschiede zwischen Bayern und Norddeutschland, was die Häufigkeit von Schilddrüsenvergrößerungen angeht. Das gilt auch für Küstenbewohner.
Die Schilddrüsenzellen produzieren Schilddrüsenhormone. Diese Hormone tragen wesentlich dazu bei, den Energiestoffwechsel des Körpers aufrechtzuerhalten. Der Grad an Stoffwechselaktivität jeder Zelle des Körpers variiert je nach Organ. Einige Zellen müssen konstant zahllose Leistungen erbringen. Hierfür wird kontinuierlich Energie benötigt (z. B. die Herzmuskelzellen).
Die Schilddrüsenhormone gehen in jede Körperzelle und sorgen dafür, dass die Zelle genügend Energie produzieren kann.
Der Kropf ist eine Vergrößerung der Schilddrüse mit oder ohne Knotenbildung, die im medizinischen Sprachgebrauch auch Struma genannt wird.
In den meisten Fällen handelt es sich um einen Jodmangelkropf. Immerhin ca. 40% aller Frauen über 50 Jahren haben eine solche Schilddrüsenvergrößerung.
Wie schon erwähnt, spielt der Jodmangel eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt häufig eine familiäre, genetische - also erblich bedingte - Veranlagung zur Kropfbildung. Kommen beide Faktoren zusammen, so bilden sich oft schon im Pubertätsalter behandlungsbedürftige Schilddrüsenvergrößerungen.
Das Schilddrüsenhormon ist im Gegensatz zu vielen anderen Hormonen eigentlich eine sehr
einfach gestrickte Verbindung. Es besteht aus einer einfachen Aminosäure (also dem kleinsten Eiweißbaustein). Diese Aminosäuren heißt Tyrosin.
In der Schilddrüsenzelle wird diese Aminosäure Tyrosin mit drei bzw. vier Jodatomen verknüpft. Das Ergebnis sind die Schilddrüsenhormone T3 und T4 mit drei bzw. vier Jodatomen. Die Schilddrüse hilft sich bei drohendem jodmangelbedingten Hormonmangel zunächst selbst.
Wachstumsfaktoren in der Schilddrüse sorgen dafür, dass sich die Schilddrüsenzellen teilen und auch größer werden. Dadurch können wieder ausreichend Hormone produziert werden. Die Schilddrüse vermeidet damit durch Wachstum einen Hormonmangel. Dies ist grundsätzlich ein vernünftiger Schutzmechanismus. Auf Dauer entsteht auf diese Weise aber ein Kropf, häufig verbunden mit Knotenbildung. Ein Teil dieser Knoten, die durch Jodmangel entstanden sind, entwickelt sich zu „kalten“ Knoten, ein anderer Teil wird zu „heißen“ Knoten.
Ein kalter Knoten ist hormoninaktiv. Er produziert keine Schilddrüsenhormone.
Ein heißer Knoten ist hormonüberaktiv und produziert zu viele Hormone (auch autonomes Adenom genannt).
Die Entstehung von Schilddrüsenknoten ist noch nicht vollständig verstanden. Jodmangel spielt bei einem Teil der Knoten eine wesentliche Rolle (Aktivierung von Wachstumsfaktoren durch Jodmangel). Ein Teil der Knoten entsteht durch eine spontan aufgetretene Mutation in einer einzelnen Schilddrüsenzelle. Diese Veränderung in der Erbsubstanz der betroffenen Zelle kann zu einer hormonüberaktiven „heißen“ Zelle, aber auch zu einer hormoninaktiven „kalten“ Zelle führen. Diese funktionsgestörten Zellen bilden jeweils den Ausgangspunkt für eine der beiden Knotenformen. Durch die jodmangelbedingte Zellteilung im Rahmen des Schutzmechanismus der Schilddrüse entwickelt sich dann allmählich aus einer genetisch veränderten Zelle ein heißer oder kalter Knoten.
Das Immunsystem neigt paradoxerweise dazu, Auto-Antikörper, also körpereigene Abwehrstoffe, gegen die eigenen Schilddrüsenzellen zu produzieren, v. a. gegen das Hauptenzym der Schilddrüsenhormonproduktion, die sog. Thyreoidale Peroxidase (TPO). Diese Neigung ist v. a. genetisch, also erblich, bedingt. Die produzierten Auto-Antikörper (TPO-AK genannt), führen im Laufe der Zeit zu einer zunehmenden Hemmung der Produktion von Schilddrüsenhormonen. Als Folge entwickelt sich ein Schilddrüsenhormonmangel (Unterfunktion der Schilddrüse, auch Hypothyreose genannt). In vielen Fällen schrumpft die Schilddrüse dabei im Laufe der Jahre. Diese Erkrankung heißt im medizinischen Sprachgebrauch Autoimmunthyreoiditis, häufig auch Hashimoto-Thyreoiditis genannt.
Auch Umweltfaktoren können derartige Reaktionen hervorrufen. Zum Beispiel kann eine Aussetzung des Körpers gegenüber erhöhter Radioaktivität die Bildung von Auto-Antikörpern provozieren (z. B. Tschernobyl).
Die Basedow`sche Krankheit ist eine andere Form der Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, bei der es zu einer Bildung von Auto-Antikörpern gegen den sog. TSH-Rezeptor (TR) kommt. Diese Antikörper (TRAK) stimulieren die Schilddrüsenhormonproduktion. Die Folge ist eine ständige Überproduktion an Schilddrüsenhormonen. Diese Erkrankung muss ca. ein bis anderthalb Jahre mit Thyreostatika behandelt werden, Substanzen, die die Hormonüberproduktion hemmen.
Die Erkrankung kommt bei etwa 50% der Patienten in diesem Zeitraum zum Stillstand. Die restlichen 50% müssen einer definitiven Behandlung zugeführt werden: In vielen Fällen ist eine Radiojodtherapie erfolgreich, bei relativ großen Schilddrüsen kann eine vollständige operative Entfernung der Schilddrüse (Thyreodektomie) die sinnvollere Therapieoption sein.
Der Jodmangelkropf wird mit einer Jodtablette oder mit einem Kombinationspräparat, das Jodid sowie niedrig dosiertes Schilddrüsenhormon enthält, behandelt.
Dadurch kann die Schilddrüse um bis zu 25 % kleiner werden und ein weiteres Wachstum kann meist verhindert werden.
Wir wissen, dass zu wenig Jod nachteilig ist. Zu viel Jod kann allerdings auch ungünstig sein. Nehmen Menschen mit einem hormonüberaktiven heißen Knoten zu viel Jod auf, kann dadurch eine Überproduktion von Schilddrüsenhormonen hervorgerufen werden. Größere Jodmengen können auch zu einer verstärkten Bildung von Auto-Antikörpern (TPO-AK) gegen die Schilddrüse führen. Dadurch kann bei entsprechender erblicher Veranlagung eine Autoimmunthyreoiditis, also eine schmerzlos verlaufende Unterfunktion, ausgelöst werden.
Der Jodbedarf liegt zwischen 150 und 250 Mikrogramm (= Millionstel Gramm) pro Tag. Über die Nahrung führen wir heute durch die Jodierung vieler Nahrungsmittel zwischen 120 und 180 µg zu. Vor ca. 25 Jahren lag die tägliche Jodaufnahme bei etwa 60 µg pro Tag. Dieser Jodmangel hat v. a. bei entsprechender erblicher Veranlagung, zur Bildung von Schilddrüsenvergrößerungen (Struma) ohne und mit Knotenbildung geführt.
Durch die deutliche Verbesserung der Jodversorgung ist die Zahl der Schilddrüsenvergrößerungen und damit auch der Knotenbildungen bei jüngeren Menschen inzwischen deutlich zurückgegangen.
Wir wissen heute, dass bei täglicher Jodaufnahme ab 400 bis 500 µg die Zahl der dadurch ausgelösten Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (Autoimmunthyreoiditis Hashimoto) bei über 10 % liegt. Das erklärt auch die relativ große Häufung dieser Erkrankungen in den USA und Japan (USA: 500 µg Jod pro Tag; Japan 800 bis 1000 µg Jod pro Tag).
Auch bei uns in Deutschland ist die Hashimoto-Thyreoiditis häufig.
Jodmangel ist ausgesprochen ungünstig für die Schilddrüse und ist entscheidend für die große Zahl von Schilddrüsenvergrößerungen verantwortlich. Ein frühzeitiger Ausgleich des Jodmangels ist in keinem Falle schädlich, sondern im Gegenteil ausgesprochen wichtig.
Eine ständige überhöhte Jodzufuhr ist allerdings nicht wünschenswert, da dadurch schon bestehende Autonomien verstärkt werden können (heiße Knoten produzieren dann mehr Schilddrüsenhormon, was zu einer behandlungsbedürftigen Überfunktion führen kann).
Außerdem können durch zu viel Jod langfristig Unterfunktionen ausgelöst werden (Bildung von Auto-Antikörpern gegen die eigene Schilddrüse bei entsprechender erblicher Veranlagung).
Die Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen lautet: langfristige Jodaufnahmen über 300 µg pro Tag sollten vermieden werden.
Bei der heute üblichen Jodierung von Nahrungsmitteln und der Verwendung von Jodsalz im Haushalt kann es nur zu einem Erreichen einer für die Schilddrüse optimalen Jodversorgung kommen. Ein Jodüberangebot ist damit nicht möglich. Selbst bei Patienten, die bereits einen heißen Knoten haben, wird durch den Verzehr jodhaltiger Nahrungsmittel üblicherweise keine Überfunktion ausgelöst.